Alle Beiträge von matze

248 Die Untiefen des Postkolonialismus (Teil 2)

Bildquelle: Ibrahim Rifath

Zweiter Teil des Radio-Features „Die Untiefen des Postkolonialismus“. 

In der vorangegangenen Folge haben wir, basierend auf dem Text des Autors Jan Gerber, die zentrale Feststellung getroffen, dass sich zwar im Zuge hart geführter Deutungskämpfe ab den 1970er Jahren die Erkenntnis von der Spezifik der Vernichtung der europäischen Juden in weiten Kreisen durchsetzte. Allerdings haben wir für die Jetztzeit festgehalten, dass die Fähigkeit schwindet, zwischen Antisemitismus und Rassismus, dem Nationalsozialismus und den Kolonialregimes, dem Holocaust und anderen Verbrechen zu differenzieren. Dass also Täter und Opfer unkenntlich werden.

Musikalisch wirken dem entgegen: 808 State, Zamilska, Rainbow Arabia, Nihiloxica, Modeselektor, LBT und Fat Eyes.

247 Die Untiefen des Postkolonialismus (Teil 1)

STOP repeating SHITTY history
Bildquelle: Gayatri Malhotra

Die Vorgänge rund um die jüngst regulär beendete – nicht etwa abgebrochene – documenta fifteen waren kein Skandal im eigentlichen Sinne. Bei einem Skandal handelt es sich laut wikipedia „um eine allgemeine Entrüstung oder Empörung im Sinne eines moralischen Gefühls“. Das Gegenteil war hier der Fall. Was die documenta 15 belegt hat, ist die Konsensualisierung des Antisemitismus auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Und eben nicht den skandalösen Ausrutscher einer gegen den Mainstream opponierenden rebellischen Kleingruppe inklusive ihrer institutionellen Unterstützer.

Im Übrigen: wenn man tribalistischen Möchtegern-Linken die Aufgabe überträgt, aus einer kulturindustriellen Kunst-Show ein Aktivisten-Potpourri zu machen, wissen ja alle Beteiligten, dass da allerlei Unfug herauskommen wird. Selbstverständlich nicht ohne die gängigen Narrative über den Juden unter den Staaten: über Israel.

Wir wollen uns in dieser und der darauf folgenden Sendung mit den Grundlagen dieser Erzählung über die Juden beschäftigen, die tief mit dem postkolonialen Diskurs verwoben sind. 

In dem im Jahr 2021 in der Edition Tiamat erschienenen Hallischen Jahrbuch hat der Herausgeber Jan Gerber den empfehlenswerten Band unter dem Titel „Holocaust, Kolonialismus, Postkolonialismus – über Opferkonkurrenz und Schuldverschiebung“ eingeleitet. Auf dieser Grundlage sind die folgenden zwei Sendungen entstanden.

Für die musikalische Untermalung der Debatte sorgen: Park Hye Jin, Will Sessions, TNGHT, WaqWaq Kingdom, Fat Eyes, Jlin, Little Simz und Pentaphobe

244 Hinterher ist man immer schlauer …

Elektronika MK 52

… diese Binsenweisheit führt in der Regel zu zwei möglichen Umgangsweisen mit Erkenntnissen, die zum Zeitpunkt ihrer Entstehung unvorhergesehen und deshalb häufig verstörend sind. 

Entweder, man analysiert seine Überzeugungen und Einschätzungen, unterzieht die bisherigen Gewissheiten – am besten in der Debatte mit anderen – einer kritischen Überprüfung und zieht, sofern man feststellt, dass man doch arg daneben gelegen hat, seine Schlüsse für aktuelle und zukünftige Gemengelagen. 

Damit einher geht in der Regel eine gewisse Zurückhaltung im Auftritt, denn eigene Fehleinschätzungen passen nicht gut zu diskursiver Großmäuligkeit.

Oder aber, man bewertet derartige Erkenntnisprozesse als abweichlerischen Opportunismus von Akteuren, die das früher Gesagte sowieso nie ernsthaft wollten bzw. nun einfach den Weg einschlagen, den alle anderen Renegaten vor ihnen ebenfalls gegangen sind. 

Der von so gut wie niemandem vorhergesehene Angriffskrieg der Putin-Clique sorgt in der radikalen, oder nennen wir sie besser: progressiven Linken für ein weiteres politisches Schisma. 

Die Monatszeitschrift konkret, die wir bisher diesem politischen Spektrum – und das nicht ohne Sympathie – zugerechnet haben, hat sich, was diesen Krieg angeht, in ihrer Märzausgabe mal so richtig und gründlich blamiert…

Nicht blamiert haben sich: Sampa the Great, MoNa a.k.a Sad Girl, Ghetts, Almost Famous und Nneka 

242 Religion und Moderne

Bild: Eduard Gross

So einiges ist unter dem Eindruck des russischen Überfalls auf die Ukraine über die Beweggründe des Autokraten und seiner Clique im Kreml geschrieben worden.
Putins ideologischer Schulterschluss mit der klerikalen russischen Orthodoxie wurde dabei insbesondere in der konservativen bürgerlichen Presse genauer analysiert.

Anlass für uns, sich mit dem grundsätzlichen Verhältnis von Religion und Moderne zu beschäftigen.

Lothar Galow-Bergemann, Publizist in Stuttgart, hat sich diesem Thema in 5 Thesen gewidmet, die er Anfang des Jahres in der Zeitschrift krisis veröffentlicht hat.

Wir lassen Sie an diesen Thesen in den kommenden 60 Minuten teilhaben. …

Musikalische Begleitung: The Black Keys, Bloc Party, All Them Witches, Calexico, The Wild Feathers, Jack White, Placebo

Pandemie trifft Klassengesellschaft

Reflexionen zur Corona-Pandemie, zur staatlichen Arbeitskraftbewirtschaftung und dem Gesundheitssektor.

Mittwoch, 25.05.2022 ab 19 Uhr in der AIDS-Hilfe München (Studio im Mittelbau), Lindwurmstraße 71 (Nähe U-Bahn Kapuzinerstraße). Die Teilnahme ist kostenlos.

Es referieren und diskutieren: Thomas Ebermann, Kabarettist und Publizist, und Nadja Rakowitz, Medizinsoziologin, Geschäftsführerin des Vereins demokratischer Ärztinnen und Ärzte (vdää) und im Bündnis Krankenhaus statt Fabrik. Die Moderation übernimmt Julia Killet (Kurt-Eisner-Verein/Rosa Luxemburg Stiftung Bayern).

Veranstalter:innern: DGB Bildungswerk Bayern, Kurt-Eisner-Verein/Rosa Luxemburg Stiftung Bayern, Linkes Bündnis gegen Antisemitismus München, Mittwochsdisko Dießen, NaturFreunde Deutschlands-Bezirk München e.V.

https://www.facebook.com/events/297870889160912/

236 Gesellschaftskritik in der Pandemie

Work Harder
Jordan Whitfield

Anfang November fand in München, unter anderem von dieser Redaktion organisiert, eine Veranstaltung unter dem Titel „Gesellschaftskritik in der Pandemie“ statt. Eingeladen waren Thomas Ebermann, der vor kurzem sein Buch „Störung im Betriebsablauf – systemirrelevante Betrachtungen zur Pandemie“ veröffentlicht hat.
Und Wolfgang Hien, Arbeits- und Gesundheitswissenschaftler und Autor der Studie „Die Arbeit des Körpers – von der Hochindustrialisierung bis zur neoliberalen Gegenwart“.

Aufbauend auf der Eingangsfrage, ob es sich bei dem staatlichen Agieren im Zuge der aktuellen Covid-Pandemie um Staatsversagen handelt, entwickelte sich ein dialogischer Abend, dessen Essenz wir Ihnen in dieser Sendung anheim geben wollen.

Des Weiteren nehmen teil: Bulbul, Curved Air, CCR, Kid Loco, The Black Angels und Ty Segall.

„…da zieht sich der geheime Sozialdarwinismus durch, diese geheime Eugenik. Wenn man so will: was uns nicht tötet, macht uns nur noch härter. Das haben so viele Menschen verinnerlicht…“
„…unter den gegebenen Verhältnissen (im Stande der Unfreiheit) ist die Reglementierung der Bedürfnisse ihrer Freigabe vorzuziehen.“

179 Come on

Gezi Direnişi - En özel fotoğraflar Quelle: Gezi Direnişi – En özel fotoğraflar

… während die bürgerliche Presse jedweder Schattierung behauptet, die Linke sei Schuld am Erfolg der Rechten, während sich das aufgeklärte Bürgertum den Kopf zermartert, was denn gegen den Populismus im allgemeinen zu tun sei, um den Faschismus im besonderen nicht erwähnen zu müssen, während das Feuilleton schier aus dem Häuschen ist, weil eine Biographie erläutert, dass die zu den Faschisten übergelaufenen Reste der französischen Arbeiterbewegung auch zu ihrer Hochzeit lebensweltlich nicht besonders fortschrittlich agiert haben, während der globale Wahnsinn sich an keiner Stelle auch nur einen Jota abmildert:
Stellen wir fest, dass es genau jetzt an der Zeit ist, auf die Reste emanzipatorischer Prinzipien zu bestehen, schlicht dem allgemeinen Wahnsinn, der allgegenwärtigen Regression eine Programmatik des Fortschritts, sowohl im technischen als auch gesellschaftlichen Sinne entgegenzustellen.

Wir brauchen in der Tat eine politische Intervention, deren Überschriften wir uns in den kommenden Sendungen widmen wollen.

Eine Intervention, die den moralischen Prinzipien des Atheismus, des Feminismus, des Kommunismus verpflichtet ist.

Eine derartige Programmatik müsste sich den Fragen der Ökonomie und damit der Kritik des kapitalistischen Verwertungsprinzips widmen, sie müsste sich mit gesellschaftspolitischen Fragen beschäftigen, von der Desavouierung des regionalistischen Hinterwäldlertums bis hin zu Forderungen nach und Definition von sozialem Fortschritt.

Sie müsste sich in aller Schärfe mit religiösem Aberglauben und Wahn auseinandersetzen und auf die Errungenschaften der Aufklärung pochen.

Sie müsste Ideologiekritik wieder in den Fokus politischer Auseinandersetzung rücken und sich gegen Antisemiten, Nationalisten und Ethnopluralisten von rechts bis links positionieren und sie müsste ihrer Organisation nach supranational verfasst sein, also die Einschränkungen nationaler und völkischer Politikkonzepte zurückweisen und diese organisierte und gegebenenfalls sich sogar als wählbar anbietende Intervention müsste gleichzeitig der Versuchung widerstehen, sich das aktuelle Potential an kritischem Bewusstsein schön zu reden oder herbei zu fantasieren.

Lars Quadfasel, Mitglied der Hamburger Studienbibliothek, hat in der Zeitschrift konkret kurz nach der Trump-Wahl in den USA die Hinter- und Beweggründe einer derartigen – nennen wir sie: Volksentscheidung erläutert. Die beschriebenen Grundprinzipien sind ohne Probleme auf andere Gesellschaften übertragbar. …

176 Graue Wölfe

Faşizme geçit yok!

Während einem beim Diskurs um die deutsche Leitkultur an allen Ecken das reaktionäre Milieu seiner Wortführer entgegenschlägt, gibt es auch eine nicht ganz so auf deutsche Tradition rekurrierende Variante der Identitätspolitik. Bei dieser, dem essentialistischen Ethnopluralismus, fällt die Verortung deutlich schwerer, denn hier tummelt sich sowohl links als auch rechts.

Wie wir in unseren letzten beiden Sendungen unserer dreiteiligen Reihe bereits berichteten, finden wir bei dieser politischen Denkrichtung neben identitären Faschisten auch sich links wähnende Critical Whiteness-Apologeten, neben paternalistischen grünbürgerlichen Exotikfans auch linksreaktionäre Kulturrelativisten. Allen ist gemeinsam, dass sie Kulturen – nicht mehr Rassen – einen von ihnen definierten Raum zuweisen wollen. Auch im geografischen Sinne.

Diese Weltsicht droht – nicht nur im Zuge der in Europa diskutierten Fluchtbewegungen – hegemonial zu werden. Sie ist dabei kein Ideologieprivileg deutscher Identitärer, sondern wird allerorten vertreten und befeuert.

Während vor wenigen Jahren in linken Milieus noch der kulturelle Wandel zwischen den Welten und Zuschreibungen verhandelt wurde, geht es heutzutage um Abgrenzung, um Ausgrenzung, um Begrenzung. Dass die Preisgabe des emanzipatorischen Diskurses über die Abschaffung identitärer Konzepte dabei auf das Wohlwollen organisierter Faschisten trifft, ist nicht verwunderlich. Verwunderlich ist eher, dass die sich abzeichnende ideologische Melange auf Basis des Ethnopluralismus nicht schärfer kritisiert wird. Zumindest von Gruppen, die es besser wissen müssten.